Wie setze ich mich durch ohne draufzuhauen?

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Wie lassen sich die Dinge in Politik und Verbänden ganz sachlich gestalten ohne lautstark draufzuhauen? 
Was bedeutet es eine Vermittlerrolle einzunehmen und wie geht man mit Selbstzweifeln und Perfektionismus um? 

Darüber spricht spricht Janina Tiedemann mit Gerda Hasselfeldt im Rahmen ihrer Interviewreihe "Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik & Verbänden.

Gerda Hasselfeldt
Präsidentin DRK,
ehemals Landesgruppenchefin CSU, Bundestagsabgeordnete, Ministerin und Vizepräsidentin des Bundestages 


Wichtige Fähigkeiten für die Arbeit in Politik & Verbänden 

Sowohl in der Politik als auch im Verbandswesen ist eine “Liebe” zu den Menschen wichtig, da man sich für sie und ihr Wohl einsetzt.In beiden Bereichen ist es besonders wichtig, Verantwortung zu übernehmen, auch für andere Personen und sich mit den Problemen der Menschen auseinander zu setzen. In der Politik macht man dies zunächst in den Wahlkreisen vor Ort und in den Fachgebieten und im Verband in den einzelnen Aufgabenbereichen.

Wenn man zeitgleich in der Politik und einem Verband tätig ist, gibt es immer wieder inhaltliche Überschneidungen, die man sich zu Nutze machen kann.

Die Herausforderungen einer Vermittlerrolle am Beispiel der Flüchtlingskrise

Die Aufgabe der Politik während der Flüchtlingskrise 2015 war es einerseits für Humanität zu sorgen und andererseits die Ordnung und Sicherheit im Land zu wahren. In dieser herausfordernden Zeit kam es teilweise zu hitzigen Diskussionen in den verschiedenen Lagern der CDU/CSU, die auch mal persönlich wurden.
In meiner Vermittlerrolle, die ich im Rahmen der Flüchtlingskrise innehatte, war Integrität mein Mittel der Wahl.
Es war von großer Bedeutung, mich in die einzelnen Gruppen hineinzuversetzen, allen Meinungen Raum zu geben und stets sachlich zu bleiben.

In Gesprächen galt es immer wieder abzuwägen, wie ich mein Gegenüber erreichen kann, um meine Position zu vertreten: Bei manchen war das auf die direkte Art leichter, bei anderen war eine gewisse Zurückhaltung die sinnvollere Taktik. Ich habe alle Gesprächspartner mitgenommen und wir haben Lösungen ausgearbeitet, die wir gemeinsam tragen konnten und haben einige Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, um die Humanität und Ordnung zu sichern.

Durchsetzen ohne draufzuhauen

Meine Durchsetzungskraft beruht vor allem auf Hartnäckigkeit und Reden sowie taktischem Vorgehen bei Sitzungen und in Gesprächen. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, wovon ich überzeugt bin, gebe ich das nicht so schnell auf und schaue, wie ich mein Ziel erreichen kann.

Es gab in meinem Leben immer wieder Situationen, durch die ich ein Gefühl dafür entwickelt habe, wie ich Themen am besten angehe. Wenn ich eine Änderung bewirken möchte, setze ich mich zunächst intensiv damit auseinander, um dann zu argumentieren und zu überzeugen. Es ist wichtig mit verschiedenen Personen zu sprechen, um die eigene Idee zu verbreiten und sich Rückmeldungen zu holen.

Was mir besonders hilft, ist ein gutes Gespür für Menschen und Kommunikation: Man kann nicht mit jedem auf die gleiche Art sprechen, man muss sich in die Person einfühlen und ihr dann auf ihrer Ebene begegnen.

Selbstzweifel loswerden, Perfektionismus eindämpfen

Ich versuche Selbstzweifeln entgegenzuwirken, indem ich regelmäßig an mir arbeite. Ich hinterfrage mich nach meinen Reden, ob ich etwas hätte besser machen können und bespreche Schwachstellen mit meinen Mitarbeiter*innen. Ich halte nichts davon, wenn Mitarbeiter*innen einem nur sagen, wie toll man alles macht, sondern wünsche mir ehrliche Rückmeldungen, wo ich nachbessern kann.

Meinen Hang zum Perfektionismus beleuchte ich immer wieder unter realen Bedingungen, um meine Ansprüche an mich selbst nicht zu hoch zu setzen und mir den Druck zu nehmen, alles perfekt machen zu wollen. Meine Familie holt mich hier auch immer wieder auf dem Teppich, und zeigt mir auf, welche Erfolge ich erreicht habe, die es zu feiern gilt.

Einen Rücktritt vorbereiten ohne die politische Karriere zu beenden

Gearbeitet habe ich immer für das Bundestagsmandat, das war stets meine Basis. Die Ministertätigkeit hat sich ergeben, weil ich dafür vorgeschlagen wurde. In der Sache war das für mich deutlich anstrengender als meine bisherige politische Arbeit, es gab einige Schwierigkeiten, die auch gesundheitliche Probleme mit sich brachten, sodass ich entschied, dieses Amt wieder niederzulegen und jemanden die Chance zu geben, der dafür brennt und das entsprechend besser umsetzen kann.

Ich habe zu keinem Zeitpunkt geplant, dass ich später weitere höhere Ämter besetzen werde, sondern mich wieder auf mein Bundestagsmandat konzentriert.Wenn Angebote aus der Fraktion auf mich zu kamen, habe ich immer hinterfragt, ob ich die Aufgabe kann, ob sie mich interessiert und ob ich die Aufgabe mindestens genauso gut, möglichst besser ausfülle als andere. Nach diesen Kriterien habe ich dann meine Entscheidung getroffen.

Ich habe häufig erlebt, dass kluge und talentierte Frauen für eine Position im Wahlkreis bis hin zum Bundestag nicht kandidiert haben, weil sie sich nicht sicher waren, ob sie Erfolg haben würden. Ebenso habe ich beobachtet, dass Frauen Niederlagen oft persönlicher nehmen als Männer und auch mehr darunter leiden. Frauen haben schneller den Eindruck nicht gemocht zu werden oder dass man ihnen ein Amt nicht zutraut. Als junge Frau mit Mitte Zwanzig ging mir das auch so, als ich für meinen Landkreis kandidierte und parteiintern ganz knapp unterlag. Man muss dazu sagen, dass ich damals erst ein Jahr in diesem Landkreis lebte und dennoch hat mich das sehr runtergezogen. Mir wurde erst mit der Zeit klar, dass diese knappe Niederlage eigentlich ein Erfolg war, da man mich damals kaum im Landkreis kannte. Mein Kontrahent hingegen, der mit nur wenigen Wählerstimmen mehr das Mandat holte, war dort aufgewachsen. In solchen Momenten hilft der Blick von außen, durch Freunde und Familie, die die eigenen Schwächen und Stärken kennen und einen entsprechend wieder aufbauen können. Ich empfehle zudem immer auszuloten, ob man eine realistische Chance hat gewählt zu werden und sich nicht für alle Ämter aufstellen zu lassen, nur um zu kandidieren.

Freiwillige Doppelspitze als Lösung für mehr Frauen?

Entgegen meiner früheren Meinung gegen eine Frauenquote, unterstütze ich es mittlerweile zumindest etwas nachzuhelfen. Das hat den Grund, dass Frauen selten von sich aus ihren Anspruch auf ein höheres Amt geltend machen. Frauen sind häufig zufrieden, wenn sie innerhalb eines Vorstandes aktiv mitgestalten und als Stellvertreterin fungieren können. Das wirkt sich immer dann nachteilig aus, wenn es darum geht politische Funktionen wie Abgeordnete, Bürgermeister oder Landräte zu besetzen: Hier geht man in der Regel auf den Vorsitzenden der Partei zu, da dieser bessere Möglichkeiten hat, sich für die gesuchte Position zu profilieren. An die Stellvertreterin denkt man in diesem Fall eher nicht. 

Ein gleichberechtigtes Miteinander würden wir in dem Moment erreichen, wenn Mann und Frau statt Vorsitz und Vertretung eine Doppelspitze einnehmen würden. Dies würde auch nicht in der Satzung stehen, sondern könnte von den Kreisverbänden individuell abgestimmt und entschieden werden.

Mein Appell an Sie:

Wir dürfen uns so akzeptieren wie wir sind. Es ist wichtig, dass wir Frauen uns unsere Stärken bewusst machen, immer wieder in uns hineinhören und dadurch Selbstvertrauen in uns gewinnen. Statt unserem Perfektionismus nachzueifern, dürfen wir den uns gegebenen Talenten vertrauen und diese für uns nutzen.

Ich empfehle außerdem den Wettbewerb nicht zu scheuen und auch mal etwas zu wagen.

Datum des Interviews: 11.01.2022

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Moin, ich bin Janina Tiedemann.

Ich bin Moderatorin und stärke als Trainerin und Speakerin seit 6 Jahren Frauen für Führungspositionen in Politik & Verbänden.
Wir brauchen tolle Frauen, die die Gesellschaft gestalten wollen!

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