Wie gelingt die Vereinbarkeit mehrerer Ämter neben Familie und Hobbys?
Wie funktioniert der Dialog zwischen verschiedenen Räten?
Wie schaffen wir es, mehr zu handeln als zu reden?
Antworten auf diese Fragen gab Sandra Lemmermann vor ihrer Wahl zur Bürgermeisterin, im Rahmen der Interviewreihe “Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik und Verbänden”.
Sandra Lemmermann
Bürgermeisterin, CDU
Gemeinderat: Kann ich das wirklich?
Ich wurde gefragt, ob ich mir vorstellen könne, mich im Gemeinderat zu engagieren. Meine erste Reaktion war "Warum ich? Da gibt`s doch auch noch andere".
Wir Frauen neigen dazu gleich alles ordentlich und perfekt machen zu wollen - was eigentlich völliger Quatsch ist.
Da ich kein Studium habe, hab mich oft gefragt, ob ich hier überhaupt "richtig" bin und hadere manchmal immer noch. Allerdings habe ich festgestellt, dass es das A und O ist, mit den Menschen zu sprechen und mitzufühlen. Bodenständigkeit und Authentizität halte ich in der Politik für sehr entscheidend.
Der Weg in den Gemeinderat
Es war sehr hilfreich bereits ein Jahr vorher immer bei den Sitzungen dabei zu sein und so etwas reinschnuppern zu dürfen.
Nach der Gemeinderatswahl war ich, weil ich so viele Stimmen holte, auf einmal Vizebürgermeisterin - das war eine schlaflose Nacht.
Für den Samtgemeinderat wollte ich mich zunächst nicht aufstellen lassen.
Die ersten paar Jahre brauchte ich wirklich um zu lernen und lerne immer noch - es gibt einfach so viele spannende Themen. In diesen Jahren habe ich jedoch oft bereut, dass ich mich nicht habe in den Samtgemeinderat wählen lassen, da viele Themen übergreifend sind. Hier fehlte mir dann manchmal das Wissen. Ich würde jedem/r raten, sich nicht nur für den Gemeinde-, sondern gleichzeitig auch für den Samtgemeinderat aufstellen zu lassen.
Wir sollten beachten, wie Positionen voneinander profitieren. Jetzt lasse ich mich neben Gemeinde- und Samtgemeinderat auch für den Kreistag aufstellen. Es ist einfach ein direkterer Kommunikationsfluss; die Wege sind kürzer - man bekommt einfach mehr mit.
Ich stelle mir auch oft die Frage, ob ich diese ganzen Sachen parallel schaffe: Familie, Beruf, zahlreiche Ehrenämter. Für mich ist das wichtigste, dass die Familie läuft, dann läuft auch alles andere.
Meine Erfahrung ist: alles, wozu man wirklich Lust hat, das schafft man auch.
Der Wille ist das wichtigste und die Komfortzone zu verlassen ist wirklich spannend.
Grußworte halten
Da das hier vor Ort wirklich meine Heimat ist und ich viele Leute kenne, konnte ich oft auch Privates in Reden einbauen, sodass es für die Zuhörer*innen und mich gleichermaßen locker war.
Beim Gottesdienst zum Volkstrauertag sollte ich das Grußwort halten. Mein erster Gedankengang war "Was soll ich dazu erzählen? Krieg war lang vor meiner Zeit". Dann wurde mir bewusst, dass ich ja direkten Kontakt zu Menschen habe, die Kriegserfahrungen haben, da ich im Pflegedienst arbeite.
Diese Gespräche waren dann Basis meiner Rede.
Als ich beim Gottesdienst vorne stand, sind mir all diese Angehörigen durch den Kopf gegangen.
Mir kamen die Tränen, meine Stimme wurde wackelig und ich wünschte mir, eine Luke würde aufgehen.
Ich berappelte mich wieder und machte weiter. Am Ende fiel mir auf, dass viele Taschentücher gezogen wurden. Zurück an meinem Platz sagte mein Nachbar "Das hast du echt gut gemacht" und ich fragte mich: "Was war daran bitteschön gut? - ich habe angefangen zu weinen".
Im Laufe des Tages habe ich so viel Zuspruch zu meiner Rede erhalten, weil die Menschen die Authentizität geschätzt haben.
Menschlichkeit ist insbesondere eine Stärke von uns Frauen - die absolut sein darf.
Handeln statt reden
Ich möchte durch Handeln überzeugen und nicht nur durch Worte.
Es war für mich anfangs schwer zu akzeptieren, dass manche Sachen in der Verwaltung etwas länger dauern.
Dass viele Dinge erst durch diesen oder jenen Ausschuss müssen, bevor etwas umgesetzt werden kann, war für mich ein Lernprozess. Es fällt mir immer noch schwer hier geduldig zu sein aber ich werde besser.
Tief durchatmen und ein Hobby, bei dem man abschalten kann, sind hier wichtige Schlüssel.
Das Bürgermeisteramt strebe ich an, weil ich Lust habe, mich für die Menschen einzusetzen. Ich denke, wenn man für andere etwas Gutes tut, tut man für sich selbst das Beste.
Als Bürgermeisterin will ich dafür sorgen, dass alle an einem Strang ziehen und möchte mich mit meinen Ratskolleg*innen auch außerhalb von Sitzungen treffen, um ein gutes Miteinander zu schaffen.
Zudem möchte ich nicht nur ein Sprachrohr sein, sondern würde gerne mit den Ratskolleg*innen etwas handfestes umsetzen, wie z.B. ein Bushaltehäuschen streichen, damit die Leute sehen: "die packen auch wirklich selbst an".
Mein Appell an dich:
Ich finde es wichtig, dass wir uns engagieren. Wenn du Lust hast etwas anzupacken und der Wille da ist, dann schaffst du das auch. Lass dich nicht von jemandem in eine Schiene reinpressen, sondern finde deinen Weg. Dieser liegt natürlich auch immer mal ausserhalb der Komfortzone.
Datum des Interviews: 30.04.2021