Wie unterstützt mich mein Fachwissen beim Aufstieg in der Politik?
Wie gestalte ich den Dialog zu den Bürger:innen?
Wie begegne ich meinem inneren Kritiker und nehme ihn weniger ernst?
Diese und weitere Fragen beantwortet Rike Jungemann, Bürgermeisterin der Gemeinde Scheeßel, im Rahmen meiner Interviewreihe “Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik und Verbänden".
Rike Jungemann
Bürgermeisterin, CDU
Mein Weg von der Regionalplanerin in die Politik
Ich bin mit 6 Geschwistern auf einem landwirtschaftlichen Betrieb groß geworden, was ich an dieser Stelle betonen möchte, da ich so schon früh lernte, mich durchzusetzen. Nach meinen Geographiestudium wurde ich dann Regionalplanerin in unserem Kreisverband.Durch diese Position, die ich seit 21 Jahren ausübe, kenne ich unseren gesamten Landkreis Rotenburg sehr gut, habe viele Menschen durch die Planungsaktivitäten und meine Vorträge über Planung kennengelernt und mir dadurch ein großes Netzwerk aufgebaut.
Ich bin schon immer aktiv auf die Leute zugegangen und habe ihnen erklärt, was Regionalplanung ist.
Vor etwa 12 Jahren wurde ich dann das erste Mal vom Bürgermeister einer Samtgemeinde gefragt, ob ich Interesse hätte dieses Amt zu übernehmen. Ich hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht intensiv mit Politik beschäftigt und gehörte auch keiner Partei an, so lehnte ich das Angebot ab.
In den folgenden Jahren erreichten mich immer wieder Anfragen aus Verwaltungseinheiten aus dem Landkreis Rotenburg. Zuletzt hatten 9 von 13 Interesse daran bekundet, mich zur Bürgermeisterin haben zu wollen.Als ich 2016 dann in die Politik einstieg, habe ich Zusammenhänge und Menschen nochmal anders kennengelernt.
Einstieg in die Partei und Kandidatur Bundestag
Mein Eintritt in die CDU war für mich absolutes Neuland, da mir meine Neutralität als Regionalplanerin immer wichtig gewesen war. Noch vor meinem Eintritt in die Partei fragte mich damals der Landrat, ob ich mir vorstellen könnte, für den Bundestag zu kandidieren. Das brachte mich zum Nachdenken: Wenn mir andere ein solches Amt zutrauen, weshalb sollte ich es mir dann nicht auch zutrauen?
Ab dem Zeitpunkt habe ich gesagt: “Ja, ich mach das jetzt und wenn es nicht klappt, dann habe ich viele wertvolle Erfahrungen gesammelt.”
Mit dem Bundestag hat es dann auch nicht geklappt, was mich aber auch gewundert hätte, von 0 auf 100.
Ich habe aus der Kandidatur jedoch die Erkenntnis gezogen, dass man sich einfach mal etwas zutrauen darf und wenn es dann nicht klappt, dies nicht als Niederlage zu sehen, sondern als eine Erfahrung, die einem ganz viel neues Wissen gebracht hat. Im Wahlkampf habe ich die Menschen nochmal anders kennengelernt und wurde von einigen auch vor und nach der Wahl anders behandelt. Als es mit der Wahl zur dem Bundestagsabgeordneten nicht funktioniert, ließen mich manche wieder fallen. Auch das durfte ich lernen, dass man im politischen Kontext keine Freunde sucht, sondern ehrliche und vertrauensvolle Verbündete. So konnte ich das für mich im Nachhinein gut sondieren, welche Menschen ich im Umfeld wirklich brauche und auf wen ich verzichten kann.
Ab diesem Zeitpunkt kamen dann vermehrt die Anfragen für das Bürgermeisteramt.
Mir war es immer wichtig zu betonen, dass ich politische Quereinsteigerin bin und ich den Blick aus der Praxis mitbringe. Der Gedanke aus diesem Blickwinkel etwas politisch verändern zu können, war dann mein Ansporn in diese Richtung zu gehen und selbst anzupacken, was mich stört.
Einige der Anfragen habe ich trotzdem erstmal abgelehnt, weil für mich die Rahmenbedingungen stimmen mussten. Als dann die Anfrage von der Gemeinde Scheeßel kam, sagte mein Bauchgefühl “Ja, hier passt es.”
Mein Ziel für die Bürgermeisterinnenwahl
Ich hatte mir für die Wahl das Ziel von 75-85% der Stimmen gesetzt. Als einzige Kandidatin habe ich mit den Fraktionen der Gemeinde im Wahlkampf darüber gesprochen, dass ich überparteilich arbeiten möchte und das auch überall kommuniziert. Mir war aber auch klar, dass einige Wähler mich kategorisch nicht wählen würden, sei es weil ich von der CDU vorgeschlagen wurde, weil ich eine Frau bin oder weil ich noch nicht zwanzig Jahre in der Gemeinde lebe.
Um einen ersten Eindruck von mir vermitteln zu können, habe ich mich vor der Wahl bei vielen Menschen in der Gemeinde mit einem Hausbesuch vorgestellt und meinen Flyer für die Wahl verteilt.Es hat mich aber ehrlicherweise auch wirklich viel Überwindung gekostet, mit meiner Umhängetasche loszuziehen und bei den Leuten zu klingeln. Die Menschen haben sich darüber sehr gefreut.
Letztendlich wurde ich mit 78% zur Bürgermeisterin gewählt, womit ich sehr zufrieden war.
Bürgersprechstunde
Ich biete jeden Monat eine Bürgersprechstunde an, die über die Presse und unsere Internetseite kommuniziert wird. Die hatte ich auch schon während des Wahlkampfs angekündigt. Sie gibt den Menschen die Möglichkeit für ein 4-Augen-Gespräch mit mir, sei es um mich kennenzulernen oder um ein konkretes Anliegen vorzustellen. Sobald das pandemiebedingt wieder möglich ist, möchte ich diese Option auch auf die Dörfer verteilen und nicht ausschließlich im Rathaus.
Junge Menschen bringen Dynamik
Unser Gemeinderat ist weiblicher und jünger geworden.
Es zeigt sich, dass die jüngeren Mitglieder neugieriger sind und mehr Diskussionen entstehen als bei den älteren Mitgliedern, die sich bereits über Jahre eingeschleift haben. Ich freue mich sehr darüber, wenn die Leute interessiert sind und Fragen stellen und mir ist es wichtig, dass wir die Dinge auch durch die Brille der Jüngeren betrachten und von dort neue Impulse bekommen.
Wenn ich beispielsweise eine Skaterbahn neu gestalten möchte, brauche ich den Input von den Menschen, die diese Bahn auch nutzen und mir dazu berichten können, wie diese gestaltet sein sollte.
Gleiches gilt für die Wohnraumentwicklung, Kinderbetreuung und Schule, die ich dann wieder mit ins Rathaus und in die Planung nehmen kann.
Ein Aha-Erlebnis in meiner politischen Karriere
Ein Aha-Erlebnis begleitet mich immer wieder:
Janina, du sagtest mal in einem Seminar: Wenn ihr Frauen euch in einer reinen Männerrunde befindet, dann lasst sie erstmal die Hierarchie klären, bevor ihr eure Interessen und Argumente platziert.
So bekommt euer Thema mehr Beachtung, als wenn ihr es gleich zu Anfang einbringt.
Ich sitze sehr oft in männerdominierten Runden und muss dann schmunzelnd an den Tipp aus dem Seminar denken. Man kann mit dem Hintergrundwissen um einiges gelassener an die Dinge rangehen.
Mein Appell an dich:
Einer deiner größten Feinde ist Selbstkritik -diese hinterhältige Stimme in deinem Kopf, die behauptet, dass du nichts wert bist. Da sich diese Stimme immer wieder meldet und sehr hartnäckig ist, meinst du, dass sie Recht hat. Hat sie aber nicht. Dieser innere Kritiker dramatisiert und übertreibt.
Nimm nicht so ernst, was er sagt.
Datum des Interviews: 07-03-2022