Wie gelingt der Spagat zwischen „gegeneinander kandidieren“ und „miteinander arbeiten“?

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Olaf Lies Minister SPD

Wie gehe ich mit einem starken Gegenkandidaten um? 

Wie verdaut man eine Wahlniederlage in den eigenen Reihen? 

Wie gelingt eine gute Zusammenarbeit in der Politik? 

Diese und weitere Fragen beantwortet Olaf Lies im Rahmen der Interviewreihe “Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik & Verbänden”.

Olaf Lies

Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, SPD


Welche Einstellung braucht es, um gegen jemanden innerhalb der eigenen Partei zu kandidieren?

Gegen jemanden zu kandidieren, der das Amt ggf. schon 20 Jahre innehat, setzt die Überzeugung voraus, dass man diese Aufgabe nicht nur übernehmen kann, sondern auch den Wissensvorsprung des Vorgängers mit einkalkuliert und sich diesem gewappnet fühlt.

Man weiß im Vorhinein nicht unbedingt, wie groß die Unterstützung für denjenigen ist und muss sich menschlich und inhaltlich behaupten können. Es ist hingegen wesentlich leichter gegen jemanden anzutreten, wenn das Amt noch frei ist, als gegen einen Amtsinhaber in den Wahlkampf zu gehen.
Es gehört viel mehr Mut dazu, für einen Wechsel anzutreten, statt darauf zu warten, dass jemand sein Amt freiwillig aufgibt.

Bei mir hat sich solch eine Situation noch nicht ergeben und ich wäre da vermutlich auch zurückhaltender als bei einer freien Aufgabe, auf die ich mich bewerben könnte. Ich würde an dieser Stelle abwägen, ob der Amtsinhaber seiner Aufgabe von der Sache her gerecht wird und entsprechende Themen voranbringt oder ob ich das Gefühl habe, dass hier ein Wechsel notwendig ist.

Wie gehe ich mit einem starken Gegenkandidaten um?

2011 bewarb ich mich aus dem Amt als Landesvorsitzenden um die Spitzenkandidatur der SPD Niedersachsen für die Landtagswahl 2013.

Mein Gegenkandidat Stephan Weil war zu diesem Zeitpunkt Oberbürgermeister der Stadt Hannover und brachte neben seiner Kompetenz sehr lange Vorerfahrung aus der SPD mit.
Ich war noch recht frisch im Landtag, aber dennoch überzeugt davon, den Schritt zu wagen, wissend, dass nicht alle in der Landes-SPD hinter mir standen. Zum einen kannte mich nicht jeder und zum anderen gab es Unsicherheiten, ob man mir das Amt zutrauen könnte.

Mir war vor der Wahl klar, gegen wen ich antrete und dass das auch emotional eine große Nummer wäre, mit der man im Zweifel auch die Partei hätte spalten können.
Eine Landtagswahl kann man nur geschlossen als Partei gewinnen und man muss die Leute als Vorsitzender hinter sich bringen können.

Wenn man also innerhalb der Partei in so eine Wahl geht, muss von Beginn an klar sein, dass man sich in dieser Zeit nicht verletzt und auch mit dem Endergebnis solidarisch umgeht.
In der Auseinandersetzung mit einem Gegenkandidaten sollte man also die Inhalte und die eigenen Überzeugungen in den Vordergrund stellen.

Das ist uns beiden auch gelungen: Wir wollten nicht auf Kosten des Anderen gewinnen, indem wir ihm schaden, sondern durch eigene Überzeugung. 


Wie verdaut man eine Wahlniederlage in den eigenen Reihen?

Ich unterlag Stephan Weil im Rahmen des innerparteilichen Mitgliederentscheids und stellte daraufhin meinen Posten als Vorsitzender zur Verfügung. Mit dem dennoch guten Ergebnis meiner Wahl war ich in Anbetracht der Situation zufrieden. 

Ich habe in dieser Zeit alle Optionen, die ich nach dem Mitgliederentscheid hatte, abgewogen. Aufgeben wäre nicht mein Stil gewesen, zumal ich auch weiter politisch arbeiten wollte. 
Vorsitzender bleiben wäre auch möglich gewesen, allerdings wollten wir ja unbedingt die Landtagswahl gewinnen.

Da ich der Überzeugung bin, dass man als Partei nur geschlossen gewinnen kann, empfand ich es als sinnvoller, Spitzenkandidatur und Parteivorsitz auf eine Person zu konzentrieren.
Emotional war das natürlich nicht ganz einfach und ich habe sicherlich gehadert, was ich mit diesem Ergebnis mache.

Ich musste mir zuerst die Niederlage eingestehen und dann das Amt zurückgeben, um Stellvertreter zu werden. Stephan Weil wurde zwei Monate später zum neuen Landesvorsitzenden der niedersächsischen SPD gewählt und ich zu seinem Stellvertreter.

Aus heutiger Sicht war das eine kluge Entscheidung. 


Wie macht man weiter und behält sein Ziel vor Augen?

Die Grundmotivation in dieser Zeit war, dass wir mit der SPD den Regierungswechsel für Niedersachsen schaffen wollten. Dieses feste Ziel vor Augen in Kombination mit einem persönlichen Wahlergebnis, das mich zwar als Zweitplatzierten, jedoch nicht als eindeutigen Verlierer zeigte, hat mir geholfen.

Es war außerdem hilfreich, dass Stephan und ich uns in dieser Zeit nie angegriffen haben, sondern zeitnah nach der Wahl das Gespräch miteinander suchten. 

Dass ich später Minister im Kabinett von Stephan Weil wurde, war kein Deal, sondern das Ergebnis eines vertrauensvollen und anständigen Umgangs miteinander.
Es hätte einige Male die Chance gegeben, schlechtes Licht auf den Anderen zu werfen.
Stattdessen haben wir uns die Frage gestellt, ob wir das mit dem Parteivorsitz zusammen machen wollen und ob ich dann den Stellvertreter übernehme. 

Später kam dann erst die Entscheidung hinzu, auch in Stephans Team zu gehen.
Die Entscheidung, als Team aufzutreten, war nicht als kurzfristige Zwischenlösung angelegt.
Mittlerweile arbeiten wir seit elf Jahren eng zusammen.
Es war jedoch wichtig, dass sich das Stück für Stück durch gegenseitiges Vertrauen entwickeln konnte und wir nicht von Anfang an Deals vereinbart hatten.

Sich zur Wahl zu stellen sollte man nicht als Lebensentscheidung sehen, nach der im Falle einer Niederlage alles vorbei ist. Hier dienen ein gesundes Selbstbewusstsein und die richtige Perspektive:
Ich habe mich getraut und habe es eben nicht geschafft.

Man kann auch aus einer Niederlage Kraft schöpfen, indem man sich selbst treu bleibt und den eigenen Mut anerkennt, dass man es versucht hat.
Natürlich ist verlieren blöd und auch ich hätte damals viel lieber gewonnen, aber ich habe etwas daraus gelernt und konnte das für mich mitnehmen. 

Wie gelingt eine gute Zusammenarbeit in der Politik?

Auch wenn das in der Politik nicht immer einfach ist, empfehle ich offen und positiv an die Dinge ranzugehen und sich nicht zu sehr zu verkrampfen. Auch mir war das zwischenzeitlich abhanden gekommen und ich habe mich dann wieder darauf besinnt, Situationen so zu akzeptieren, wie sie sind und mich davon frei zu machen.

Man hat nie nur Menschen im politischen Umfeld, die hinter einem stehen.

Ich habe natürlich auch Begegnungen mit Menschen gehabt, die mich ganz anders gesehen und beurteilt haben, als das Stephan Weil getan hat.
Menschen, die dich in ein schlechtes Licht rücken wollen, werden das immer machen, man darf sich deshalb aber nicht vor denjenigen verschließen, die sich ein offenes und konstruktives Miteinander wünschen.

Mein Tipp ist daher, nicht nur überall nach jenen zu suchen, die dir schaden wollen, sondern offen zu bleiben für alles, was kommt. Dann gelingt es einem auch Offenheit bei anderen zu generieren.

Gleiches gilt nach einer Niederlage: So etwas ist nie leicht, aber statt nur noch zu schauen, weshalb mich jemand nicht gewählt hat, sollte ich die Entscheidung annehmen und weitermachen.
Gleiches gilt in einem Unternehmen.
Wenn ich eine Position nicht bekommen habe, sollte ich mich nicht ständig fragen, wer hat sich warum gegen mich entschieden, sondern es einfach hinnehmen.
Alles andere verkrampft und führt dazu, dass ich es nicht nochmal versuche, weil ich im Hinterkopf habe:
“Ich hab doch schon mal verloren”.

Ich finde es nicht schlimm, etwas zu versuchen, was man dann nicht schafft.
Viel schlimmer ist es, wenn man es nicht versucht. 

Du brauchst definitiv auch Leute, die an deiner Seite stehen. Unterstützung aus dem Umfeld bedeutet an dieser Stelle nicht nur, dass alles schöngeredet wird, was man macht, sondern auch kritisch bewertet wird, wenn man etwas hätte besser machen können.

Mein Appell: 

Entscheidend ist es aus meiner Sicht, die Bereitschaft mitzubringen, etwas zu machen, von dem ich überzeugt bin und hinter dem ich inhaltlich stehe, auch wenn ich vielleicht nicht gewinne.

Wenn du selbst die Überzeugung hast, dass du das kannst und du dich dabei nicht unter Druck setzt, in jedem Fall gewinnen zu müssen, dann wird dich das immer voranbringen und stärken für alles was folgt.

Zeig was du kannst, geh damit raus und sei stolz auf dich, losgelöst von Sieg oder Niederlage!
Alles hat seine Zeit und viele Faktoren entscheiden darüber, wann etwas wo und wie zum Erfolg führt.


Datum des Interviews: 23.09.2022

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Moin, ich bin Janina Tiedemann.

Ich bin Moderatorin und stärke als Trainerin und Speakerin seit 6 Jahren Frauen für Führungspositionen in Politik & Verbänden.
Wir brauchen tolle Frauen, die die Gesellschaft gestalten wollen!

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