Welche Möglichkeiten des Mitwirkens habe ich, wenn ich mich keiner Partei anschließen möchte?
Wie funktioniert eine Wählergemeinschaft in Abgrenzung zu einer Partei?
Diese und weitere Fragen beantwortet Nicole Wehner im Rahmen der Interviewreihe “Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik & Verbänden”.
Nicole Wehner
Fraktionssprecherin einer Wählergemeinschaft
Mein Weg in die Politik und die Entscheidung
eine eigene Wählergemeinschaft zu gründen
Ich bin eher aus Versehen in die Politik gekommen. 2014 stand eine Flächennutzungsplanänderung bei uns in der Gemeinde an. Es wurde überall in den Zeitungen bekannt gegeben, aber eigentlich wusste kein Bürger so recht was das überhaupt bedeutet, inklusive mir selbst.
Ein paar Monate später wurde ich dann darauf hingewiesen, dass man plante einen Windpark hier in der näheren Umgebung zu errichten. So wurde ich das erste Mal darauf aufmerksam und war etwas überrascht. Ich habe generell überhaupt nichts gegen Windkraft, aber ich fühlte mich völlig unbeteiligt, beziehungsweise nicht gehört. Wir haben mit Freunden und Bekannten darüber gesprochen, aber keiner wusste irgendetwas von diesen Planungen und so haben wir dann als erstes einmal in die Gaststätte in unserem Dorf eingeladen, dort saßen dann ca. 140 Leute die dann unserem damaligen Samtgemeindebürgermeister Fragen gestellt haben. Daraufhin haben wir eine Bürgerinitiative gegründet, um in die Sache eingeführt zu werden, was da überhaupt geplant ist.
Ich war mittelmäßig frustriert, in welcher Form ich mich als Bürgerin in mein eigenes Wohnumfeld einbringen kann, um gehört zu werden.
2015 bin ich dann auf das Programm „Frauen in die Politik“ des Landes Niedersachsen gestoßen an welchem ich teilnahm. Dieses Programm ging ein Jahr lang und währenddessen fanden verschiedene Veranstaltungen innerhalb der Region statt.
Nach dem Jahr stellte ich mir die Frage: „Was mache ich denn nun mit meinem erlangten Wissen?“ Ich wusste eigentlich, dass ich in keine vorhandene Partei gehen wollte, da ich ganz sachorientiert arbeiten wollte und so habe ich eine eigene Wählergemeinschaft gegründet.
Ich habe mir Mitstreiter gesucht, die ähnlich dachten wie ich und bin dann 2016 damit in den Wahlkampf der Kommunalwahlen gestartet.
Vorgehensweise der Gründung einer eigenen Wählergemeinschaft
Wenn ich mich als Einzelkandidatin hätte aufstellen lassen wollen, hätte ich Unterstützerunterschriften sammeln müssen.
Bei einer Wählergemeinschaft ist das etwas anders, dort gibt es einen Sonderstatus.
Ich musste eine Gründungsversammlung mit mind. 5 Leuten abhalten.
Danach gründet man eine Gruppe mit dem Gründungsprotokoll und meldet sich bei der entsprechenden Kommune. Dort teilt man mit, dass man eine Gruppe ist, die gerne am Wahlkampf teilnehmen möchte.
Daraufhin erhält man von der Kommune Unmengen an Formularen die auszufüllen sind.
Unter Anderem muss man eine Wählbarkeitsbescheinigung von der Kommune bekommen, die bescheinigt das man überhaupt wählbar ist. Nicht wählbar wäre man z. B. als Vorbestrafte/r oder ohne den Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft.
Vor- und Nachteile einer eigenen Wählergemeinschaft versus
Beitritt einer etablierten Partei
Die Wählergemeinschaften sind alle unterschiedlich. Eine Wählergemeinschaft bei uns in Rodenberg kann komplett anders aufgestellt sein, als zum Beispiel in Hannover oder sonst irgendwo.
Wählergemeinschaften sind immer kommunal verankert und arbeiten faktisch immer die Themen vor Ort ab, man hat kein überspannendes Ziel.
Natürlich interessieren wir uns ganz immens dafür erneuerbare Energien in unserer Kommune zu integrieren, aber unser übergeordnetes Ziel ist es eben nicht, erneuerbare Energien global oder in Deutschland generell zu etablieren, da wir dafür gar keinen Wirkungskreis haben.
Deshalb ist eine Wählergemeinschaft immer anders und man sollte sich bei Interesse einer Wählergemeinschaft beizutreten, genau anschauen, was das für Leute sind und wofür sie stehen.
Das ist bei einer etablierten Partei einfacher, denn da weiß ich schon einmal grundsätzlich wo sie hinwollen und welches Ziel sie verfolgen. Das ist meiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen einer Wählergemeinschaft und einer Partei. Es gibt auch Kommunen die haben mehrere Wählergemeinschaften oder Wählergruppen die sich eben für unterschiedliche Themen gegründet haben.
Aus meiner Sicht, kann man hier niemandem einen Tipp geben, sondern man muss selbst schauen wie man tickt.
Es gibt noch einen ganz gravierenden Unterschied und zwar die Parteidisziplin: Das bedeutet, dass bei einer Abstimmung eine Partei einen gemeinsamen Konsens findet und es sehr selten vorkommt, dass Parteien bei einer Abstimmung auseinanderfallen.
Bei Wählergemeinschaften ist das oft anders, da das meist eine Zusammenkunft von Individualisten ist, die häufig unterschiedliche Meinungen haben im Vergleich zu anderen aus der gleichen Gruppe und sich daher auch bei einer Abstimmung unterschiedlich verhalten.
Wie stelle ich bei einer Abstimmung in der Wählergemeinschaft sicher, dass ich meine Themen durchsetze?
Ich muss ehrlich sagen, ich habe gar nicht den Anspruch, eine Idee zu haben, die unbedingt durchgebracht werden muss.
Das kann gar nicht mein Anspruch sein, da das bedeuten würde, alles was ich sage ist richtig und was alle anderen sagen ist falsch. Stattdessen muss der Anspruch sein, einen möglichst guten Kompromiss zu finden.
Wenn alle ein bisschen unzufrieden sind, ist der beste Kompromiss gefunden. Wenn nur einer zufrieden ist, während alle andere unzufrieden sind, kann es nicht vernünftig sein. Das ist in etwa die Idee dahinter.
Bei uns in der Samtgemeinde haben wir immer ein lockeres Treffen mit sehr vielen Fraktionen die auch unterschiedlicher nicht sein könnten.
Und doch gibt es immer eine sehr gute Diskussionskultur.
Man trifft sich vor großen Sitzungen, um sich einfach einmal gegenseitig „abzuklopfen“.
Das halte ich für absolut wichtig. Wenn man sich immer nur in der eigenen Fraktion bespricht und nur in der eigenen Suppe rührt, vergisst man viele Dinge und lässt sie außer Acht.
Würde ich nochmal eine eigene Wählergemeinschaft gründen, um mich auf höherer Ebene politisch zu engagieren?
Wenn wir von Bundes- oder Landespolitik reden, würde es mir sehr schwer fallen mich in diesem Parteiapparat einzuordnen. Jetzt komme ich natürlich von einem sehr kleinen Dorf und der Dialog oder der Kompromiss ist das, was mich mein ganzes Leben lang geprägt hat.
Wenn ich mir vorstelle, man wäre in einem großen Parteiapparat und ich würde bestimmte Wege gehen müssen, weil das eben so beschlossen wurde, würde mir das sehr schwerfallen.
Deshalb wäre das für mich kein echtes Ziel.
Kreistag wäre für mich die oberste Ebene, die ich anstrebe, weil ich da die räumlichen Strukturen gut kenne.
Ich würde von mir selbst behaupten, ich kann es dort sehr gut überblicken, ob etwas sinnvoll oder nicht sinnvoll ist.
Aktuelle Strukturen in Parteien und/oder Menschen die in Parteien agieren
Ich will Menschen gar nicht bewerten oder beurteilen. Ich glaube auch, wenn man sich in solchen Strukturen bewegt, egal in welchen, wird man von seinem Umfeld immer geprägt und bewegt sich manchmal vielleicht auch in eine Richtung, in die man gar nicht möchte.
Was ich grundsätzlich schwierig finde ist, dass Politik eine unglaublich abstrakte Gruppe von Menschen macht. Diese Gruppe von Menschen sitzt z. B. (auf Bundesebene) im Bundestag, mit unglaublich vielen Politiker*innen und Lobbyist*innen, die relativ wenig Kontakt zur Basis haben.
Ich möchte die Leute dort etwas in Schutz nehmen, da ich glaube, dass diese Menschen auch oft Entscheidungen treffen müssen, die sie nicht treffen möchten. Aber ich glaube, dass der Bezug zu den Menschen „ganz unten“, die auf der Straße rumlaufen, verloren gegangen ist.
Entscheidende Aspekte, dass unsere neue Wählergemeinschaft
so gut gewählt wurde
Ich will mich jetzt nicht selbst loben, aber wahrscheinlich bin ich das Zugpferd der ganzen Gruppe, da ich bekannt bin wie ein bunter Hund. Es kennt mich hier in der Region quasi jede*r. Das macht natürlich etwas aus.
Ich will nicht unbedingt sagen, dass ich als besonders seriös bekannt bin, da ich auch eine Zeit lang Stand Up Comedy gemacht habe, aber ich bin eben bekannt und sehr ehrlich.
Manchmal auch etwas unbequem, sodass ich Sachen hinterfrage und Menschen vielleicht auch ein wenig nerve, aber grundsätzlich hat es dazu beigetragen, dass die Leute wissen, ich bin jemand, der sehr authentisch ist.
Ich glaube das hat auch dazu geführt, dass wir sehr gut und sehr schnell gestartet sind und jetzt unser Ergebnis nochmal verbessern konnten.
Wir haben dieses Mal fast doppelt so viele Kandidat*innen auf der Liste gehabt wie bei der ersten Wahl, worauf ich auch ein bisschen stolz bin. Ich habe absichtlich keine Freunde und Bekannte angesprochen, ob sie unserer Wählergemeinschaft beitreten wollen, weil ich nicht wie eine „Tupperwarenvertreterin“ rüberkommen und meine Listenplätze anbieten wollte.
Es war mir einfach sehr wichtig, dass die Leute, die zu unserer Wählergemeinschaft kommen, dies wirklich wollen und sie eine gewisse intrinsische Motivation haben, auch tätig werden zu wollen. Ich habe tatsächlich keinen einzigen Menschen gefragt, aber irgendwann fing an das Telefon zu klingeln und daraufhin haben wir Einige dazu bekommen.
Mein Appell:
Mein Appell ist, beteiligt euch alle! Geht zu Ratssitzungen, hört euch das an, stellt Fragen und sprecht alle Politiker*innen an. Seid unbequem, denn nur dann werdet ihr auch beteiligt.
Das ist leider so.
Unser politisches oder kommunalpolitisches System ist leider ein bisschen weniger bürgerfreundlich und man ist als Bürger*in immer nur dann beteiligt, wenn man Fragen stellt und Präsenz zeigt.
Das hilft auch den Politiker*innen. Oftmals bekommt man Dinge, die den Bürger*innen unter den Nägeln brennen, überhaupt nicht mit und daher ist es ganz wichtig, sich zu beteiligen.
Datum des Interviews: 14.10.2021