Welche Aufgaben übernimmt der “Kongress der Gemeinden und Regionen Europas?
Welche Spielregeln gelten in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Kulturen?
Wie bringt man kommunalpolitische Interessen auf europäischer Ebene ein?
Diese und weitere Fragen beantwortet Nicole Berka im Rahmen der Interviewreihe “Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik & Verbänden”.
Nicole Berka
Bürgermeisterin (SPD),
Mitglied "Kongress der Gemeinden
und Regionen Europas"
Die Aufgabe des "Kongress der Gemeinden und Regionen Europas"
In diesem beratenden Gremium des Europarates sind mehr als 300 Delegierte aus 47 Ländern vertreten.
Ich bin dort Mitglied der deutschen Delegation. Wir tagen zweimal im Jahr mit Vertretungen in Straßburg.
Hier geht es um Themen wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Wahrung der Menschenrechte, die kommunale Selbstverwaltung und mehr. Ich trete dort mit meiner Erfahrung und in meiner Funktion als Bürgermeisterin einer kleinen ländlichen Kommune mit 20.000 Einwohnern auf.
Das Gremium hat eine Agenda mit Schwerpunktthemen, zu denen man sich dort mit allen Delegationen und Ländervertretungen austauscht.
Das ist insofern spannend, da es zwar ein ähnliches Verständnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gibt, dies jedoch nicht in allen Staaten selbstverständlich ist.
Momentan ist auch das weltpolitische Geschehen rund um die Ukraine-Krise ein Schwerpunktthema.
Wladimir Klitschko hat als Bürgermeister der Stadt Kiew zuletzt sein Rederecht genutzt und mit dem Gremium einige Informationen geteilt.
Hier findet aktuell Austausch dazu statt, was das Selbstverständnis einer kommunalen Selbstverwaltung bedeutet, wie man mit der Wahrung der Menschenrechte und mit Wahlen umgeht. Zuvor hatten wir uns beispielsweise mit dem Thema “Hate Speech” beschäftigt: Wieviel muss ich mir als politischer Vertreter von der Öffentlichkeit gefallen lassen; wann geht etwas zu weit?
Im Anschluss an die Tagungen werden Stellungnahmen und Einschätzungen formuliert.
Ein Schwerpunkt sind auch die sogenannten “Monitoringverfahren” - sprich Wahlbeobachtungen, wie demokratisch organisierte Wahlen in einzelnen Ländern stattfinden.
Wir beobachten immer wieder Auseinandersetzungen in verschiedenen Ländern, analysieren diese und geben auch Empfehlungen. Das stärkt an dieser Stelle den europäischen Gedanken, ein gemeinsames Verständnis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu haben.
Der Ausschuss für aktuelle Angelegenheiten
Hier sprechen wir inhaltlich über politisch aktuelle Themen, wie die Ukraine-Krise aber auch über Kinderrechte und das Demokratieverständnis in frühkindlicher Bildung.
Es ist spannend zu sehen, dass wir als Staaten Europas viele gleiche Herausforderungen haben, wie das Verständnis für Demokratie schon in der frühkindlichen Bildung zu prägen oder den Nachwuchs in politischen Kreisen zu bekommen.Es gehen aus diesem Ausschuss auch konkrete Arbeitsergebnisse und Produkte hervor, die dann in die Länder gegeben werden: Gerade erst wurde von einigen Partnern eine Broschüre erstellt mit viel fachlicher Expertise auf dem Gebiet frühkindliche Bildung.
Die Spielregeln in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Kulturen
Die interkulturelle Zusammenarbeit ist spannend.
Wichtig ist es, offen zu bleiben und nicht nur zu versuchen an den eigenen Grundsätzen festzuhalten.
Wir hatten vor kurzem neue Wahlen für die Ausschüsse und Besetzung von Vorsitzen.
Während diese in Deutschland demokratisch gewählt werden - mit Kandidat und Gegenkandidat, Wahlzetteln und Urne, zählt im Plenarsaal auch mal als Wahlsieger, wer den lautesten oder längsten Applaus bekommt.
Oder es wird jemand vorgeschlagen und wenn sich keiner dagegen ausspricht, dann ist er das jetzt - dies hat etwas von Hinterzimmerpolitik.
Der Weg in die deutsche Delegation
Städte und Gemeinden sind in Verbänden organisiert, die im Bund die jeweiligen Interessen vertreten.
Dort trete ich persönlich in Erscheinung und bin entsprechend vernetzt.
Bei der Auswahl der Delegierten wurde geschaut, wer fachlich und sprachlich für einen Platz im Gremium des Europarates geeignet ist.
Hier kamen mir meine Englisch-Sprachkenntnisse, als auch meine Erfahrung im europäischen Ausland während meiner Masterstudienzeit zu Gute.
Eventuell hat es auch einen Ausschlag gegeben, dass ich mich als Frau für die Delegation beworben habe.
Wahl zur Bürgermeisterin der Gemeinde Neunkirchen-Seelscheid
Bei den Kommunalwahlen 2014 bin ich als Gemeinschaftskandidatin für drei Parteien zur Wahl angetreten.
Der Wunsch nach einem Politikwechsel war damals in der Gemeinde groß; entsprechend groß war die die Unterstützung meiner Person und so löste ich meinen Vorgänger nach sehr langer Amtszeit ab.
Sechs Jahre später bin ich für eine zweite Amtszeit erneut zur Wahl angetreten mit zwei neuen Gegenkandidat*innen.
Bei der ersten Wahl war ich noch völlig unvorbelastet und konnte frei in den Wahlkampf gehen.
Man kannte mich nicht, entsprechend lag der Fokus auf meiner Person und die Menschen wollten Nicole Berka kennenlernen. Dies dominierte sogar die politischen Inhalte.
Zur zweiten Wahl war die anfängliche Narrenfreiheit vorbei und die Menschen haben inhaltlich geprüft, was ich während meines ersten Wahlkampfs an Änderungen angekündigt hatte und was davon während meiner Amtszeit in die Tat umgesetzt worden war.
Trotz aller Krisen seit 2014 war das glücklicherweise eine ganze Menge, sodass ich mich im Wahlkampf gegen meine beiden Kontrahent*innen durchsetzte.
Mein Appell:
Frauen brauchen Mut und gute Vorbilder in der ersten Reihe, dann werden auch mehr Frauen nachziehen.
Es ist wichtig sich zu trauen und nicht so oft zu hinterfragen: “Kann ich das? Ist das vereinbar mit Zuhause?”
Frauen dürfen auch Forderungen aufstellen, so wie die männlichen Kollegen das auch tun und die Dinge etwas entspannter sehen, dann fällt es einem leichter zu entscheiden.
Datum des Interviews: 14.04.2022