Wie profitiere ich in der Politik von meiner Verbandsarbeit?
Wie traue ich mich, eine Spitzenposition anzustreben?
Wie nehme ich Kritik an und nutze sie, um mich zu verbessern?
Darüber spricht Janina Tiedemann mit Kristine Lütke im Rahmen ihrer Interviewreihe "Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik & Verbänden".
Kristine Lütke
MdB FDP,
ehemalige Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjunioren
Neues Amt, neuer Rhythmus
Nach den ersten Wochen als neu gewählte Bundestagsabgeordnete kann ich sagen, dass ein solches Amt neben viel Arbeit auch einen anderen Rhythmus mit sich bringt. Gerade in der Anfangsphase der Regierungsbildung reiht sich ein Ereignis an das nächste und ein vermeintlich leerer Tag im Kalender füllt sich relativ schnell.
Ich habe gelernt, meinen Perfektionismus zurückzuschrauben und mich erstmal mit den neuen inhaltlichen und räumlichen Gegebenheiten auseinanderzusetzen und Dinge anzunehmen. So dauerte es einige Zeit, bis ich mein Büro zugeteilt bekommen habe, dieses fertig ausgestattet war und ich es mit meinem Team beziehen konnte. Das hätte mich früher wahrscheinlich mehr gestört.
Ich habe aus der unmittelbaren Zeit nach dem Einzug in den Bundestag für mich mitnehmen können, dass die Dinge sich fügen werden und manchmal einfach etwas länger dauern, dass Unternehmen und Politik unterschiedlich funktionieren dass man stärker und häufig durch Termine und Gespräche gebunden und viel unterwegs ist.
Interessenkonflikt zwischen Verband und Partei?
Als ich Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjunioren war, habe ich meine parteipolitische Tätigkeit noch nicht so stark ausgeübt.
In Interviews, in denen ich gefragt wurde, habe ich immer gesagt, dass ich natürlich parteipolitische Präferenzen habe, doch dass dies hier nichts zur Sache tut. Als Bundesvorsitzende wollte ich bewusst überparteilich agieren, das ist so auch im Verband angelegt.
Mein Vorgänger wurde zum Ende seiner Amtszeit in den Bundestag gewählt. Das hatte damals für großen Aufruhr gesorgt, da seitens der Mitglieder sehr viel Wert auf die Überparteilichkeit gelegt wurde und immer noch gelegt wird.
Um keine zu starke “parteipolitische Färbung” zu bekommen, habe ich in meiner verbandlichen Amtszeit daher Bitten mich stärker zu engagieren und mich auch an öffentlich wahrnehmbarer Stelle einzubringen, abgelehnt, um voll und ganz die Interessen der Wirtschaftsjunioren zu wahren. An dieser Stelle empfand ich es als notwendig, mich mit meiner persönlichen politischen Meinung zurückhalten.
Einladungen zu FDP-Veranstaltungen habe ich wahrgenommen, aber ich bin natürlich auch zu Veranstaltungen anderer Parteien gegangen. Aufgrund der Nähe zum Unternehmertum gibt es große Schnittstellen zwischen Wirtschaftsjunioren und der FDP - das haben auch verbandsinterne Umfragen oft gezeigt. Auch mit anderen Parteien gibt es Übereinstimmungen, die ich als Bundesvorsitzende natürlich ebenso vertreten habe.
Verbandserfahrungen als beste Vorbereitung für politisches Amt
Von meinem Amt als Bundesvorsitzende habe ich definitiv profitiert und sehr viel gelernt, was mich auf die Politik vorbereitet hat. Ich durfte mich auf vielseitigem Parkett bewegen, habe an Podiumsdiskussionen teilgenommen, Grußworte gehalten, Interviews gegeben, Anträge geschrieben und eingereicht, mir Unterstützer gesucht und Mehrheiten organisiert.
Wettbewerbssituationen, in denen man um bestimmte Posten kandidiert, gibt es sowohl im Verband als auch in der Politik.
Durch den engen Austausch der Wirtschaftsjunioren mit dem Bundestag lernte ich bereits Politikerinnen und Politiker kennen, mit denen ich mich heute noch berate. In manchen habe ich sogar Mentorinnen und Mentoren gefunden.
In einer Führungsposition in einem Verband steht man in der Öffentlichkeit, sodass auch Leute außerhalb des eigenen Umfeldes auf einen aufmerksam werden. Hier gibt es gute Möglichkeiten die eigene Expertise zu zeigen und auf sich aufmerksam zu machen.
Sich trauen Spitzenpositionen anzustreben
Nach 10 Jahren männlichem Vorsitz bei den Wirtschaftsjunioren tat ein Geschlechterwechsel an der Spitze dem Verband meines Erachtens sehr gut. Nun wurde nach recht kurzer Zeit wieder eine Frau zur Bundesvorsitzenden gewählt. Das dürfte auch anderen Frauen Mut machen, dass so eine Position erreichbar ist.
Als mein Vorgänger einen Nachfolger suchte, war mir klar, dass die Chancen eines männlichen Kandidaten als Nachfolger sehr groß sein würden und hier auch bereits aktiv nach Kandidaten geschaut wurde. Häufig gehen Männer mit einer solchen Situation proaktiver um als Frauen.
Ich habe mich mit zwei Verbandsfreunden eng ausgetauscht und überlegt, wer für das Amt in Frage kommen würde. Zuerst sagte ich im Spaß “Dann mache ich es”, doch daraus wurde schnell Ernst. Nachdem ich die Entscheidung, zu kandidieren für mich getroffen hatte, habe ich dies dem damaligen Bundesvorsitzenden und den Bundesvorstandsmitgliedern mitgeteilt.
Unterstützer fand ich nicht in allen Reihen: es wurde zum Beispiel in Frage gestellt, ob ich grundsätzlich genügend Erfahrung mitbringen würde. Ob ich nicht ein wenig jung wäre. Ob ich mir das mit nur vier Jahren Verbandserfahrung und einem Jahr Bundesvorstand bei den Wirtschaftsjunioren zutrauen würde. Meinen Hut wollte ich allerdings nicht mehr aus dem Ring zu nehmen. Für mich war ganz klar: ich ziehe diese Sache durch. Ich hatte eine tolle Mentorin, die mir immer das Gefühl gegeben hat, dass ich mir das zutrauen kann. Meines Erachtens ist sehr wichtig, sich immer Mentor*innen und Unterstützer*innen zu suchen, die einen unterstützen, beraten und einem dabei helfen, sich weiterzuentwickeln.
Eine weitere wichtige Lehre für mich war, mich nicht daran zu stören, was andere über mich sagen. Man muss sich angewöhnen, sich manches nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen. Und so muss man dann auch handeln- auch wenn es bisweilen schwerfällt.
Auf den Spruch, dass ich zu jung bin und zu wenig Erfahrung mitbringen würde, antworte ich mittlerweile: “Das mag sein, aber ich lerne schnell!”
Manchmal ist es auch ganz gut, eine Position nicht aus der eigenen schon eingefahrenen Position zu betrachten, sondern den Blickwinkel zu wechseln und offen zu sein.
Frauen werden anders kritisiert als Männer
Wäre ich ein Mann gewesen, hätte die Kritik gegenüber meiner Person während der Kandidatur sicher anders ausgesehen. Wie bei vielen anderen Frauen auch, wurde bei mir zum Beispiel mein Outfit und Erscheinungsbild kommentiert - auch von mir geschätzten Verbandskollegen. Das hatte ich nicht erwartet. Ob denn farbenfrohe Kleider, offene Haare und roter Lippenstift dem Amt einer Bundesvorsitzenden angemessen wären. Einem habe ich dann mal erklärt, dass ich mit meinen 1,58 Meter in einem grauen Hosenanzug in einer Reihe männlicher, größerer Anzugträger optisch untergehen würde. Farbenfrohe Kleider sind für mich Sichtbarkeit, eine Art “Uniform”, ein optisches Signal.
Solche Situationen haben mir nochmal sehr deutlich vor Augen geführt, wie anders Frauen und Männer wahrgenommen- und kritisiert werden. Das bezieht sich natürlich nicht nur auf Outfits oder Äußeres.
Vieles davon war auch “interner Wahlkampf” im Verband: nachdem ich mit einem sehr guten Ergebnis zur Bundesvorsitzenden gewählt wurde, wurde auch der Gegenwind weniger.
Ein Schlüsselerlebnis war für mich meine erste große Rede im Zuge des Know-how Transfers (Veranstaltung mit Wirtschaftsjunioren und Bundestagsabgeordneten). Einen Bundestagsabgeordneten hatte ich kurz vorher kennengelernt, er hatte mir vermittelt: “Was will denn das kleine Mädchen da?” Während meiner guten und inhaltlich starken Rede habe ich immer wieder zu ihm in die erste Reihe geblickt - sein Gesichtsausdruck veränderte sich während meiner Rede massiv zum Positiven. Das hat mir Auftrieb gegeben.
Kritik annehmen und besser werden
Man braucht für den Aufstieg ein dickes Fell und muss Kritik und Anfeindungen auch mal aushalten können. Wenn Kritik berechtigt ist, spricht man mit Vertrauten darüber und kann sein Verhalten überdenken. Manchmal aber passt einer Person auch einfach die eigene Herangehensweise nicht. Ein wichtiges Learning ist: vieles ist nicht persönlich gemeint.
Sehr wichtig ist es, immer bei sich zu bleiben und zu schauen, wo man noch wachsen kann - in der Kommunikation, bei Inhalten, wie man auftritt. Natürlich muss man sich selbst hinterfragen - sonst kann man weder erkennen, ob Kritik gerechtfertigt ist, noch kann man sich weiterentwickeln.
Mein Geheimrezept für einen schnellen Aufstieg
Es hat mir sicher in die Karten gespielt, dass ich schon einen gewissen Bekanntheitsgrad als Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjunioren hatte. Zudem war in allen Parteien, im Bundestag, in der Politik, die geringe Frauenquote ein Thema. Das hat mich bestärkt, das sollte alle Frauen weiterhin bestärken.
Auch in der FDP wurde das diskutiert. Mit dem, was ich kann, mit meiner Bereitschaft, für ein Mandat zu kandidieren, war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Dennoch gilt: Man muss zeigen, dass man es ernst meint, Tätigkeiten und Aufgaben übernehmen, sich engagieren, Zeit einbringen, Parteikolleginnen und -kollegen unterstützen. Da gehört zum Beispiel Flyer verteilen und plakatieren für andere genauso dazu wie für einen selbst. In kleineren Parteien ist es aber einfacher, schneller viele andere Mitglieder kennen zu lernen und zu zeigen: ich möchte etwas für unsere gemeinsame Sache und Überzeugungen erreichen.
Mein Appell an uns Frauen:
Man muss sich klar machen, was man selber will und wieviel man bereit ist zu investieren.
Lasst euch von unqualifizierten Sprüchen nicht verrückt machen. Beim ersten Mal ist man meist noch geschockt oder empört, wie ihr auf so einen Spruch reagieren könnt. Legt euch schlagfertige Antworten parat und kontert- mit Humor.
Schafft euch ein weibliches Netzwerk, knüpft Kontakte und redet positiv von anderen Frauen - das stärkt uns alle. Schaut, wo es Möglichkeiten gibt, euch gegenseitig zu unterstützen, zusammenzuschließen, dabei trotzdem als Individuen zur Geltung zu kommen und euren Weg zu machen.
Datum des Interviews: 01.12.2021 Foto: Philipp Bauer