Frauen in Verbänden: von Selbstvertrauen und Spielregeln der Lobbyarbeit

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Jan Plagge

Welche Unterschiede gibt es bei Männern und Frauen hinsichtlich des eigenen Anspruchs und welche Auswirkungen hat dies? 

Warum empfinden gerade Frauen Traineeprogramme als großen Gewinn?  

Wie funktioniert Lobbyismus? 

Bewahren vs. transformieren: Wie ambitioniert sollten wir Veränderungsziele stecken?

Diese und weitere Fragen beantwortet Jan Plagge im Rahmen der Interviewreihe “Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik & Verbänden”. 


Jan Plagge

Präsident Bioland & IFOAM Organics Europe


Frauen sind trotz sehr guter Qualifikation immer noch selten
in Führungspositionen vertreten

Mein Eindruck ist es, dass sehr viele Frauen noch immer einen sehr hohen Anspruch an sich selbst, fast schon Perfektionismus haben.

Im Abgleich mit der Realität sagen sie dann: „Ich bin noch nicht so weit. Ich kann noch dieses oder jenes nicht und somit sehe ich mich nicht sofort in einer Führungsposition.“
Bei Männern ist das oft umgekehrt. Männer sehen eher die Attraktivität der Position und verhalten sich dann so, als ob sie alles bereits könnten, obwohl das teilweise gar nicht der Realität entspricht. 

Die Diskrepanz zwischen dem, was man leisten kann und der Realität, liegt bei Frauen näher zusammen, als bei männlichen Kollegen.
Das ist für mich eine Erklärung dafür, dass Frauen länger warten und sich weniger zutrauen und Männer dann die Führungsposition erhalten. Das ist schade, da es oft gar nicht zur Realität oder der Qualifikation passt. 


Frau dürfen das gleiche Selbstvertrauen an den Tag legen wie Männer

Was man in einer Führungsposition können muss, kann man in der Theorie nicht lernen. Natürlich gibt es Bücher über Verbandsmanagement oder Personalführung, aber die Erkenntnis ist eher, dass ich mir die Führungseigenschaften Schritt für Schritt erarbeite, um als gute Führungskraft wahrgenommen zu werden.

Außerdem sind wir nicht perfekt. Ich persönlich kann mit dem unperfekt sein besser umgehen, als ich das bei manchen weiblichen Führungskräften sehe, die ich für absolut spitze halte. 


Die Herangehensweise von Frauen und Männern bei einem Trainee Programm

In unserem Traineeprogramm haben wir jährlich 25 Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen, welche in der Regel gerade mit dem Studium fertig sind. 

Diesen jungen Menschen machen wir das Angebot, den Berufseinstieg branchenübergreifend in die Biobranche zu finden - ob jetzt in der landwirtschaftlichen Erzeugerberatung, in der Kontrolle, Zertifizierung oder dem Marketing. Ausgeschrieben ist das Programm für Fach- und Führungskraftlaufbahnen in Unternehmen und Verbänden.

Die Bewerberverteilung, lag in den letzten Jahren oft bei 60 – 70 Prozent Frauen. In der Auswahl haben sich die Unternehmen dann manchmal nochmal zu 80 Prozent für Frauen entschieden und somit die Quote erneut erhöht. Wir haben oft diskutiert, warum der Frauenanteil so hoch ist und dann Befragungen bei Unternehmen, Verbänden und auch bei den Studierenden und Absolvent*innen durchgeführt. Oft war es wie bereits erwähnt, nämlich dass Frauen sagen: „Das Trainee-Programm ist für mich ideal.

Ich will in die Biobranche, ich will eventuell auch Karriere machen und ich brauche für meine Qualifikation genau dieses Trainee-Programm“.
Während die männlichen Absolventen eher der Meinung waren, dass sie bereits alles können und nicht noch ein Trainee Programm benötigen. Das war sehr auffällig.
Die Männer, die das Trainee Programm gemacht haben, sagten: „Ich will netzwerken; ich will Leute kennen lernen. Für meinen Berufseinstieg investiere ich dieses eine Jahr.“ 

Dann haben wir die Kolleginnen natürlich noch weiter begleitet, vor allem auch in dem Übergang in den Berufseinstieg oder einen Firmenwechsel.
Die meisten von ihnen haben sich wirklich super entwickelt.

Die Investition ist absolut goldrichtig und sollte die Frauen auch ermutigen zu sagen: „Ich kann etwas und ich nutze das auch tatsächlich für eine Laufbahn in einem Projekt oder als Führungsposition für Personal oder auch ganze Einheiten.“


Meine Tipps für eine erfolgreiche Lobbyarbeit in Verbänden

Der Klassiker eines guten Lobbyisten ist ein gutes Netzwerk und das Wissen, wen ich in welcher Situation kontaktieren kann. Da ist dann eher die Frage, wie genau baue ich mir das auf? 

Ich selbst bin überhaupt kein klassischer Lobbyist. Als ich zum Bioland-Präsident gewählt wurde, war ich ein Fachmann. Ich komme aus der Praxis, aus dem Gartenbau und habe in der Beratung von Betrieben bei der Umstellung auf Bio gearbeitet.

So habe ich mir ein ziemlich großes fachliches Know-how aufgebaut. Dann kommt man in diese große Lobbyarbeit oder auch Interessenarbeit und plötzlich spielt das Fachliche oder das Argument gar nicht mehr eine so große Rolle.
Stattdessen geht es darum, wer wen kennt und wer mit wem verbandelt ist. Man hört immer wieder, dass man in der Lobbyarbeit trinkfest sein muss und einer der Letzten, die vom Tisch aufstehen.
Es stimmt zwar, dass es Empfänge gibt, die man bestenfalls zum Beziehungsaufbau nutzt, aber ich habe auch gemerkt, dass das Interesse am Argument oder der Lösung immer größer wird.

Ich kann als Interessenvertreter für Bioland nicht so agieren wie manche Kolleg*innen und den Status Quo verteidigen. Ich möchte aus einer Minderheitenposition heraus das Verständnis schaffen, dass Bio gut für das Allgemeinwohl ist und die entsprechende Position stärken. Dagegen steht die Mehrheit der Lobbyist*innen, die dagegen ist und die das unbedingt verhindern möchte.

Welche Interessen auch immer bestehen, es ist häufig die Situation, dass man gegen eine Ist-Situation lobbyiert. Da ist mein Tipp, nicht noch jedes Netzwerk zu erschließen oder in jeder zusätzlichen Abendrunde mit dabei zu sein, sondern sich die Menschen heraus zu picken, die wirklich am Inhalt und dem Argument interessiert sind. 

Mit Menschen gemeinsame Interessen zu suchen, die Dinge auch verstehen.
Denn in der Regel haben sowohl Politiker, Abgeordnete, Mitarbeiter von Abgeordneten als auch die Ministerbüros ein Problem.
Wenn ich dann der Interessenvertreter bin, der eher vom Inhalt, den Erfahrungen und den Interessen meiner Mitglieder kommt, kann ich das für mich nutzen. 

Dann finde ich in der Politik auch gezielt die Gegenüber, die sagen: „Ich brauche jemanden der mir hilft, Transformationen und Veränderungen voran zu bringen und gute Konzepte in meinem Parteiprogramm oder meine Abgeordnetenaktivitäten mit einfließen lässt.”

Einblick in den Green Deal für Europa

Der Green Deal war ein Umbauplan der Wirtschaft in eine klimaneutrale Wirtschaft.
Es ging um landwirtschaftliche Probleme und Themen wie Gesundheit, Artensterben, Umweltprobleme, Grundwasserschutz und Weitere. Die Kommission, unter der Leitung von Ursula von der Leyen, wurde eingesetzt und viele von ihnen hatten entweder keine oder völlig andere Netzwerke, wie zum Beispiel Frans Timmermans als Kommissionsvizepräsident.

Ich war selbst in Gesprächen zur Übersetzung des Green Deals im Bereich Landwirtschaft dabei. Die Politiker*innen und Kommissar*innen haben dann die Frage gestellt, wie genau eine Transformation oder Veränderung in der Landwirtschaft erreicht werden soll, wenn wir wirklich etwas verändern wollen. Die Aussage der Politiker*innen war, dass das Einzige, was europäisch bereits per Gesetz geregelt ist und wo bereits ein Ansatzpunkt und eine Bewegung, auf die man aufbauen kann, vorhanden ist, der Biolandbau sei.

Genau deshalb bräuchte man 30 Prozent Bio. Der ursprüngliche Plan der EU-Kommission war, 20-30 Prozent Bio reinzuschreiben, was eine Vervierfachung des damaligen Status Quo gewesen wäre.
Plötzlich fanden wir uns in der Situation wieder, dass die Kommission uns mehr Biolandbau einräumte, als wir selbst gedacht hatten - um das europäische Ziel für den Umbau der Wirtschaft zu erreichen.

Das war eine sehr spannende Situation, in der wir realisiert haben, dass die Kommission Recht hat und wir zu hasenfüßig waren. So entstand im Grunde der Deal und das mittlerweile überall verankerte Ziel von 25 Prozent Bio in ganz Europa bis 2032 und hat mir gezeigt, dass wir häufig viel mutiger sein dürfen.

Mut zur Veränderung für mehr Allgemeinwohl

Ich als Verbandsvertreter oder auch Menschen aus der Politik dürfen sich nicht von Ängsten leiten lassen, was man alles verlieren kann, sondern müssen Mut haben und Mut machen dafür, was man alles gewinnen kann, wenn man erfolgreich eine Veränderung schafft.

Es gibt Erfolgsgeschichten, die die Politik heute noch erzählt, wie z. B. die Einleitung der Energiewende der Nullerjahre oder die Agenda 2010.
Das sind alles historische Reformen, obwohl sie problematisch waren.

Aber durch solche Geschichten werden Politiker*innen zu Held*innen oder zumindest zu erfolgreichen Politiker*innen. Man wird nicht zum Helden indem man den Status Quo sichert.


Mein Appell: 

Wir erreichen als Einzelne nichts. Wir haben jetzt eine riesige Menschheitsaufgabe mit der Überwindung der menschengemachten Klimakrise, welche wir nur gemeinsam schaffen können.
Man sollte nicht daran verzweifeln, dass Menschen unterschiedliche Interessen haben.

Wenn man Freude an der Arbeit mit Menschen und Freude daran hat, diese Interessen miteinander zu einem Veränderungsprojekt zu verbinden, ist Vertreter*in eines Verbandes zu sein einer der schönsten Berufe.

Von der Kooperation von Menschen lebt unsere ganze Menschheit.

Datum des Interviews: 20.09.2021

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Moin, ich bin Janina Tiedemann.

Ich bin Moderatorin und stärke als Trainerin und Speakerin seit 6 Jahren Frauen für Führungspositionen in Politik & Verbänden.
Wir brauchen tolle Frauen, die die Gesellschaft gestalten wollen!

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