Wie bekommen wir jüngere Menschen in die Politik?

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Wie schafft man es, das Durchschnittsalter in der Fraktion um 22 Jahre zu senken?

Welchen Vorteil bietet eine Liste nach Alter?

Was können junge und alte Generationen voneinander lernen?

Wie begeistern wir junge Menschen für Kommunalpolitik?

Diese und weitere Fragen beantwortet Imke Haake im Rahmen der Interviewreihe “Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik & Verbänden”. 

Imke Haake

Kreisvorsitzende, Beisitzerin Landesvorstand, FDP


Mein Weg in die Kommunalpolitik

Ich war Schulsprecherin im Schulausschuss der Gemeinde Großenkneten und fand das im Rathaus alles sehr interessant, weil man ja auch das ein oder andere bewegen kann. Drei bis vier Jahre später standen dann die nächsten Kommunalwahlen an und ich wurde gefragt, ob ich nicht Lust hätte zu kandidieren.

Da habe ich gar nicht lange überlegt und dachte mir, das kann ich mal machen, ich habe ja nichts zu verlieren. Das Abi hatte ich gerade hinter mir und war in der Ausbildung. Da ich ein sehr heimatverbundenes Landei bin, wollte ich gerne in der Nähe bleiben. Ich wusste zwar auch, dass noch ein Studium anstünde, aber das passte schon, ich wollte einfach mal anfangen. 

Ich habe mich also aufstellen lassen und wurde im Gemeinderat tätig. Dies mache ich seit mittlerweile 20 Jahren

Die Entscheidung unsere Liste für die Kommunalwahlen
nach Alter aufzustellen 

Wenn wir uns die Zahlen anschauen, sind lediglich rund 11% der Kommunalpolitiker*innen unter vierzig Jahre alt. Die Jugend oder generell jüngere Menschen sind also eher schlecht vertreten. 

Vor kurzem stand dann wieder die Listenaufstellung für die Kommunalwahlen an und irgendwann beim Joggen hatte ich die Idee, dass wir diese Liste ja auch mal nach dem Alter aufstellen könnten.

Meine Fraktion und meine Partei hatten mich zwar damals auf Platz eins gesetzt, das war natürlich eine Ehre, aber ich war seitdem auf Platz eins geblieben. Ich empfand, dass sich daran auch etwas ändern darf, da wir viele neue, interessierte Eintritte hatten und denen wollte ich auch gerne eine Chance geben.

So entstand dann die Idee der Aufstellung nach Alter, angefangen mit dem jüngsten Mitglied.  
Wir waren und sind ein gutes Team und das war bei diesem Projekt entscheidend.
Hätte hier jemand quer geschossen, wäre das ganze Projekt hinfällig gewesen.
Auch alle Alteingesessenen und älteren Mitglieder, die dann ja weiter hinten eingereiht wurden, fanden das eine tolle Idee. 


Von der Tragweite der Liste bei einer Kommunalwahl und den Veränderungen in der Fraktion

Kommunalwahl ist definitiv eine Personenwahl und alle, die in den letzten zwanzig Jahren in den Rat gewählt wurden, wurden über die Personenwahl gewählt. Ich meine, dass es auch vor meiner Zeit so war, dass nie jemand aus der Fraktion über die Liste eingezogen ist. 

Bei der vergangenen Wahl ist es wirklich dazu gekommen, dass über die allerletzte Briefwahl unser zweiter Kandidat - ein 23-Jähriger - über die Liste eingezogen ist. Der erste Kandidat ist am Wahltag 20 Jahre alt geworden und hatte bereits genügend Stimmen um reinzukommen. So hat die letzte Briefwahl dafür gesorgt, dass wir eine Person über die Liste bekommen haben. Das war natürlich grandios. 

Ich habe ausgerechnet, dass die alte Fraktion einen Altersdurchschnitt von 55 Jahren hatte. Jetzt haben wir mit diesem Prozedere den Durchschnitt auf 33 Jahre senken können. Wir lieben Schnapszahlen bei uns auf dem Lande ;). Es hat sich definitiv gelohnt und man könnte sagen, wir sind jetzt ein absolutes Start-Up Unternehmen. 

Die Rückmeldungen aus der Gemeinde waren auf jeden Fall alle total positiv, das “neue Konzept” wurde wahrgenommen. Wir haben auch einen sehr frischen Wahlkampf geführt und die Rückmeldungen hierzu waren auch alle positiv. 

Schade war, dass wir ganz knapp an dem fünften Sitz gescheitert sind, wir hätten gerne noch einen Alteingesessenen mit im Rat gehabt. 


Wir brauchen auf allen Ebenen junge Leute und sollten dies fördern

Theoretisch ist eine Liste nach Alter auf jeder Ebene umsetzbar, man muss es nur wollen.
Man muss wirklich sagen: „Komm, wir gehen neue Wege und lassen den Jüngeren hier den Vortritt.“

Wer zukunftsorientiert arbeiten möchte, muss neue Wege gehen.
Wenn ich natürlich 20 Jahre lang den Platzhirsch vorne sitzen habe, der dann mit 70 immer noch der Meinung ist, er müsse Listenplatz eins belegen, aus welchen Gründen auch immer, wird es schwierig.
Jeder ist wichtig und der Rat braucht auch einen Querschnitt von allen Generationen. Wenn ich wirklich etwas für die Zukunft tun möchte und auch frische neue Ideen haben möchte, dann muss ich auch mal neue Wege gehen können. 

Ich finde einen Querschnitt wichtig und glaube, dass zum Beispiel ein jüngeres Ratsmitglied sich ganz anders in Dinge hineinversetzen kann. Wenn sich die Jugend jetzt eine Skateranlage wünscht oder darüber klagt, dass sie auf dem Land nirgendwo hinkommen, weil keine öffentlichen Verkehrsmittel da sind, dann können sich jüngere Menschen viel besser in diese Lage hineinversetzen.
Mütter - auch ich bin zweifache Mutter - haben ein ganz anderes Verständnis dafür, wenn andere Mütter oder Familien eine Nachmittagsbetreuung benötigen, als ein 65-Jähriger das hat.
Daher ist es wichtig, dass alle vertreten sind. 


Was erfahrene Menschen von den jungen in der Herangehensweise
lernen können und umgekehrt

Menschen, die schon länger dabei und älter sind, wollen erstmal alles abklären. Natürlich muss alles rechtlich abgeklärt werden, man darf aber auch einfach mal machen und das Ganze etwas beschleunigen. Manchmal dauert alles sehr lange und man hört Sätze wie: “Das ist halt so“ oder „Das war schon immer so“.
Die Dinge zu beschleunigen ist wichtig in einigen Sachen, da dürfen sich die Erfahrenen noch etwas von Jüngeren abschauen. 

Die Jungen wiederum können sich etwas von der Geduld mitnehmen. Geduld ist ohnehin im Leben wichtig, aber man kann einiges auch einfach mal laufen lassen und Ruhe bewahren.
Es ist wichtig nicht gleich panisch oder hektisch zu werden, sondern positiv in die Zukunft zu schauen und sich bewusst zu machen, dass es immer irgendwie Lösungen gibt. 

Als ich neu anfing, hörte ich Sätze wie: „Ach toll, ein junger Mensch“. Aber dann gab es auch mal eine Situation, die mich nachdenklich gestimmt hat: Ich war beim Einkaufen und wurde angepöbelt mit: „Was hast du denn da gemacht?“ oder „Wie hast du denn da entschieden?“ Da war ich erstmal vor den Kopf gestoßen, obwohl es ganz natürlich ist, dass jeder eine Meinung hat.
Es gibt immer pro und contra und das ist auch gut so und gehört zur Diskussionskultur dazu.
Inzwischen mache ich mir da auch keinen Kopf mehr. Wenn wir eine Entscheidung getroffen haben, dann ist das auch so.

Heute sage ich ganz klar: “Man kann es nicht allen recht machen und das muss man auch nicht!”
In meiner Anfangszeit hatte ich das noch unterschätzt, aber das lernt man dann recht schnell.

Trotzdem sollte man sich immer zwei Seiten anhören und es ist auch ganz wichtig, sich fachliche und sachliche Informationen einzuholen und zu überlegen, wie die Sachlage ist. Erstmal Ruhe bewahren und nicht gleich zu sagen „Mensch, das geht gar nicht, bevor man nicht eine zweite Seite gehört hat. 

Junge Menschen für Kommunalpolitik begeistern

Wir haben in den letzten Monaten durch Corona vieles in Bezug auf hybride Sitzungen gelernt, was für junge Leute ein Vorteil sein kann, wenn sie nicht vor Ort sind.
Vielleicht wollen sie studieren oder eine Ausbildung machen und man kann sie jetzt schneller mitnehmen, indem man sie digital zuschaltet.

Früher hörte man oft: „Ich gehe jetzt vielleicht weg und ich weiß nicht ob ich wieder komme und dann bin ich ja raus“. Diese Menschen kann man jetzt mitnehmen. Man muss als Fraktion aber auch einfach etwas flexibler sein in Bezug auf die Sitzungszeiten und schauen, dass diese zu den Leuten passen.
Oder man bietet den jungen Leuten an, erstmal jemanden mitzubringen, mit dem sie sich stärker oder sicherer fühlen. Das bietet auch die Möglichkeit sich die Aufgaben ein bisschen aufzuteilen.

Junge Menschen in der Kommunalpolitik brauchen Mut für Veränderung, die Offenheit für Neues und die Bereitschaft etwas zu machen.

Und es braucht den Wunsch Veränderung zu erreichen und dafür auch selbst aktiv zu werden.
Interesse an der Arbeit sollte natürlich auch vorhanden sein und die Einstellung, dass man auch wirklich etwas erreichen kann.
Natürlich kann ich auch mit meiner Jogginghose auf dem Sofa liegen und immer nur meckern, oder ich krempele eben die Ärmel hoch und sage: „So, ich packe selbst mit an, ich gestalte mit“.
Und genau das kann man auf kommunaler Ebene ganz viel. Die Arbeit lohnt sich und macht Spaß. 


Mein Appell: 

Ich möchte einfach wirklich jede*n noch einmal motivieren es einfach mal zu versuchen und mitzuwirken.
Egal ob auf kommunaler, politischer Ebene, im Sportverein oder sonst wo - es lohnt sich. 

Man nimmt ganz viele wichtige Erfahrungen auch für sich selbst mit.
Ich habe in diesen 20 Jahren Kommunalpolitik mehr über Psychologie gelernt als in meinem Studium.
Ich finde es total spannend mit Menschen zu arbeiten, zu netzwerken, das ist ein ganz toller Bereich und ich finde, dass die Politik eine viel zu ernste Sache ist, um sie den Männern oder den Älteren allein zu überlassen.

Reinschnuppern lohnt sich immer und dann entscheidet man, was man daraus macht. 


Datum des Interviews: 30.09.2021

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Moin, ich bin Janina Tiedemann.

Ich bin Moderatorin und stärke als Trainerin und Speakerin seit 6 Jahren Frauen für Führungspositionen in Politik & Verbänden.
Wir brauchen tolle Frauen, die die Gesellschaft gestalten wollen!

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