Wie bilde ich mir in Krisenzeiten meine Meinung?
Wie argumentiere ich, wenn ich meine Meinung ändere?
Wie gehe ich mit komplett anderen Meinungen und Anfeindungen um?
Wie bekommen wir mehr Frauen in Führung?
Diese und weitere Fragen beantwortet Christine Aschenberg-Dugnus im Rahmen der Interviewreihe “Einstieg. Aufstieg - für Frauen in Politik & Verbänden”.
Christine Aschenberg-Dugnus
MdB,
Parlamentarische Geschäftsführerin
der FDP-Bundestagsfraktion
Wie bilde ich mir in Krisenzeiten - wenn schnelle Reaktionen erforderlich sind - meine Meinung?
Gerade in Bezug auf die Corona-Pandemie war das sehr speziell.
Ich gehe generell so vor, dass ich mir alle Meinungen anhöre (in diesem Fall natürlich nicht die Fake-News, sondern die der einzelnen Wissenschaftler) und mir dann eine Meinung daraus bilde.
Sowohl ich als auch die Bundestagsfraktion haben gute Erfahrungen damit gemacht, zwei Fachleute gegeneinander diskutieren zu lassen und sich aus diesen Diskussionssträngen die notwendigen Informationen herauszuziehen.
Als negativ empfinde ich es, wenn Verantwortungsträger sich mit Experten austauschen, die alle sowieso ihrer Meinung sind, da man an dieser Stelle nichts neues rausziehen kann.
In meiner politischen Laufbahn habe ich mich immer darauf besonnen, mir eine eigene Meinung erst dann zu bilden, nachdem ich mir ausreichend kontroverse Meinungen angehört hatte.
Daraus konnte ich dann entscheiden, welche Richtung sich mit meinem eigenen Standpunkt gut verbinden und weitertragen lässt.
Wen ziehe ich für meine Meinungsbildung heran?
Am Beispiel der Corona-Pandemie haben wir nach Virologen oder Epidemiologen geschaut, die auch an einer Universität einen Lehrauftrag haben und dort entsprechend Forschung betreiben. Hier haben wir ziemlich schnell passende Expert*innen gefunden. Im Gegensatz zu der Zeit vor der Pandemie waren entsprechende Experten dann auch in der Öffentlichkeit sehr präsent, sodass auch alle Bürger*innen die sehr unterschiedlichen Meinungen und Ansichten mitbekamen.
Ich gehe da vor wie in jedem anderen Fall auch: Anhören und anschauen, darüber nachdenken und dann die eigene Meinung bilden. Wenn von mir eine schnelle Antwort erwartet wird, weil es etwa zeitkritische Entwicklungen gibt, dann teile ich meine Meinung aus der jetzigen Situation heraus mit und betone das auch so.
Wenn sich Rahmenbedingungen ändern, sollte man diese Änderungen in Erwägungen mit einbeziehen.
Das müsste aus meiner Sicht auch generell ein Konsens in der Politik sein.
Als Politiker*in lebt man auch von der Medienpräsenz und kann sich bei der Anfrage eines Senders keine zwei Tage Zeit lassen, um über etwas nachzudenken.
Ich habe mich in der Vergangenheit immer geschützt, indem ich meine Meinung an den mir aktuell bekannten Stand der Entwicklungen geknüpft habe und dies entsprechend argumentiert.
Wie argumentiere ich, wenn ich meine Meinung ändere?
Wir sind alle lernende Menschen, die sich im Leben bewegen und unterschiedliche Erfahrungen machen.
Nur weil ich einmal eine Meinung vertreten habe, heißt das nicht, dass ich diese nun bis an mein Lebensende vertreten muss.
Ich denke heute mit 62 Jahren über manche Positionen anders, als ich dies mit 30 Jahren tat. Wenn man andere Perspektiven einnimmt, wie etwa durch Mutterschaft, ändern sich Ansichten ganz automatisch.
Ich kritisiere hier eher, wenn man darauf festgelegt wird, was man zu einem früheren Zeitpunkt einmal gesagt hat. Ich frage an dieser Stelle immer: “Wollt ihr Menschen, die aus Situationen lernen und ihre Meinung auch nochmal anpassen, wenn sie neue Erfahrungen gemacht haben, oder wollt ihr Leute, die starr ihre Meinung vertreten, weil sie diese einmal festgelegt haben?”
Lebenslanges Lernen bedeutet für mich, dass man seine eigene Meinung immer wieder überprüft.
Ich rede gern Tacheles, statt Sprechblasen abzusondern und da kann es auch einmal passieren, dass ich einen Satz sage, der auslegungsfähig ist.
Ich habe meine Umgebung und meine Wähler*innen so wahrgenommen, dass sie jemanden möchten, der authentisch ist, der seine Meinung auch mal ändern und Fehler zugeben kann. Es ist nur menschlich zuzugeben, dass man Entscheidungen mit heutigem Wissen anders getroffen hätte.
Ein Beispiel, bei dem ich bereits vor einigen Jahren meine Meinung geändert habe, ist der Cannabiskonsum. Früher habe ich eine Legalisierung abgelehnt, da ich mich mehr auf den illegalen Verkauf konzentriert hatte und darauf, was Cannabis im Körper junger Menschen anrichten kann. Nachdem ich dann vermehrt in den Austausch mit Betroffenen ging und sich mir die Notwendigkeit zeigte, hier gezielt und kontrolliert zu unterstützen, änderte ich meine Meinung.
Wie gehe ich mit komplett anderen Meinungen und Anfeindungen um?
Im Zuge der Corona-Pandemie habe ich mich für die Impfung ausgesprochen, allerdings auch gegen eine allgemeine Impfpflicht. Das führte dazu, dass ich zwei Seiten gegen mich hatte, sowohl die Impfgegner als auch die Befürworter einer Impfpflicht.
Ich gehe generell keiner Diskussion aus dem Weg, jedoch kochte der Ton in den sozialen Medien sehr hoch.
Es gab mir gegenüber sehr viele Anfeindungen und Beschimpfungen bis hin zu sexualisierter Fäkalsprache und Anrufen im Büro meines Mannes, er solle mir “mal in die Fresse hauen”.
Ich habe ein breites Kreuz - das gehört in meinem Amt dazu - und ich weiß, dass diese Menschen nicht mich als Person meinen, sondern meine Position und meine Meinung.
Dennoch sage ich ganz klar: “Wenn es die Familie betrifft, hört der Spaß auf!”
In der Regel stecken hinter solchen Profilen auf den sozialen Medien auch keine ernstzunehmenden Gesprächspartner, sondern Profile ohne Klarnamen und Foto, die ausschließlich angelegt wurden, um ihre Fäkalsprache rauszuhauen.
An mir perlen diese Anfeindungen ab, ich weiß aber, dass Familienmitglieder in der Regel schlechter damit umgehen können und bin daher froh, dass meine Tochter bereits erwachsen ist.
Ich kann mir vorstellen, dass es noch eine Ecke härter ist, wenn man jüngere Kinder hat.
Wie lässt man Angriffe an sich abprallen?
Ich denke, das ist ein Lernprozess und jeder muss für sich den richtigen Weg finden.
Mein Tipp ist es, sich klar abzugrenzen von Anfeindungen und diese nicht auf die eigene Person zu beziehen.
Gerade durch die sozialen Medien haben Hasskommentare deutlich zugenommen.
Hier hilft es, sich ein dickes Fell zuzulegen und auf die Kommentare einfach nicht zu reagieren, denn genau das wollen diese Leute ja.
Ich hole mir immer wieder in Erinnerung, dass nicht ich als Christine Aschenberg-Dugnus gemeint bin, sondern meine Position oder meine Parteizugehörigkeit etc.
Wenn dem Gegenüber die Argumente ausgehen, kommt bei uns Frauen oft noch hinzu, dass über unsere Kleidung und Frisur gelästert wird, was bei Männern nicht thematisiert wird.
Auch hier der Appell, sich davon nicht einschüchtern zu lassen, es zählt, dass man sich selbst gefällt.
Wie bekommen wir mehr Frauen in Führung?
Ganz klar brauchen wir mehr Frauen.
In der Bundestagsfraktion schaffen wir das unter Anderem, indem wir mehr Führungspositionen an Frauen vergeben. Wir haben viele Frauen im Vorsitz von Ausschüssen und versuchen auch mehr Frauen in Spitzenpositionen zu bringen.
Ich kann Frauen nur dazu ermutigen, sich zu trauen und auch gegen männliche Kollegen in den Wahlkampf zu gehen. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, heißt es, nicht zurückschrecken, es wieder versuchen und dranbleiben.
Auch ich bin schon bei einer Listenaufstellung gegen einen Kollegen angetreten und habe verloren. Deshalb ist man ja nicht gleich raus; diese Erfahrung stärkt einen auch. Ich denke, man muss auch mal Risiken eingehen und das scheuen viele Frauen.
Ich sage ganz ehrlich, ich bin keine Befürworterin der Quote, da ich mir in Zukunft auch mal eine weibliche Doppelspitze wünschen würde. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten der Listenaufstellung, die die Landesverbände jeweils festlegen können. Es sollte bei der Listenaufstellung auch immer um Kompetenz gehen und darum, wer die Belange der Bürger*innen am besten vertritt.
Ich sage meiner Partei und Fraktion regelmäßig, dass sie etwas dafür tun müssen, dass wir auf die Bedürfnisse der Frauen eingehen müssen. Dazu gehört beispielsweise auch, Gremiensitzungen nicht stundenlang abzuhalten. Wenn ich die Sitzungsleitung habe, halte ich das immer so, dass die Punkte nacheinander - zack zack - abgehandelt werden und nicht unnötig lang Schleifen um ein Thema gedreht werden, zu dem bereits alles gesagt wurde. Dadurch geht bei mir eine Sitzung nicht länger als zwei Stunden.
Das ist dann auch im Sinne von Frauen, die Kinder haben, teilweise alleinerziehend sind etc.
Die Arbeit in der Kommunalpolitik bringt unglaublich viele Erfahrungen, die ich Frauen gern ans Herz lege: Hier lernt man Politik! Man lernt, sich Mehrheiten zu besorgen, sich konkret für die Belange der Menschen einzusetzen und hat ein super Training für den späteren Landes- oder Bundestag.
Mein Appell:
Bitte mischt euch in die Politik ein!
Ich habe meinen Weg in die Politik mit 37 Jahren gefunden, weil ich mir sagte:
“Nicht nur meckern, selber machen!”
Mitmachen macht Freude - auch wenn man oft einen langen Atem braucht.
Etwas durchzusetzen erzeugt ein unglaubliches tolles Gefühl. Ob man nun etwas für die Familien erreicht, die Kommune oder den Landkreis, es macht einfach Spaß und dazu möchte ich motivieren.
Datum des Interviews: 12.05.2022